Geschichte der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert

Wie ein Projektil schießt die Eisenbahn durch die Landschaft, berichten die Teilnehmer der frühen Reisen. Die Geschwindigkeit betrug 20 bis 30 Meilen, drei Mal höher als die der Kutsche, der geliebten Vorgängerin. John Ruskin fühlte sich in der Eisenbahn wie ein lebendiges Paket, und Gustave Flaubert erschien die Fahrt mit dem neuen Transportmittel als stumpfsinnig bis zum Heulen. Wie anders war doch das Reisen mit der Kutsche gewesen — durch einen Zuruf konnte man sie anhalten lassen, man nahm die Umgebung in ihrer Individualität wahr und erlebte sich als eins mit ihr. Im Wageninnern ging eine lebhafte Unterhaltung hin und her und es kam vor, dass dauerhafte Freundschaften geschlossen wurden.

Warum konnten sich die Zeitgenossen mit vorindustrieller Erfahrung an das neue Reisemittel nicht gewöhnen, und welche Revolutionierung der Wahrnehmung hatte durch die Einführung der Eisenbahn stattgefunden? Darauf gibt Wolfgang Schivelbusch seine spannenden Antworten. Und er bedient sich dabei der Werkzeuge Technikgeschichte, Soziologie und Psychoanalyse, Architekturkritik und Literatur. Schivelbusch bringt den Chor der Zeitzeugen zu Gehör: die feine Beobachtung des Literaten wie die Instruktion des Technikers. Er analysiert den Unfallschock und stellt Zusammenhänge her zwischen dem industrialisierten Reisen, der Militärtechnik und dem Manufakturwesen. Und weiter: Warum redeten die bürgerlichen Reisenden im Abteil eigentlich nicht miteinander, sondern verschanzten sich hinter ihrer Reiselektüre? In den Wagen der 3. und 4. Klasse soll es zur gleichen Zeit hoch hergegangen sein. Dazwischen die Frage: Hatte Amerika es besser? Dort reiste man von Anfang an im Großraumwagen, in Europa hingegen in kleinen Abteilen. Lange Zeit blieben die Abteile miteinander unverbunden — eine ideale Konstruktion für Verbrechen, weshalb im Coupé dann auch bald die Angst mitfuhr.

Wolfgang Schivelbuschs Geschichte der Eisenbahnreise ist zuerst 1977 erschienen und erhielt den Deutschen Sachbuchpreis.

(aus der amazon-Redaktion)

Jetzt bestellen

Rezension einsenden?

Schreiben Sie uns an info@zeitkultur.com